Geheimnisvolle Zeichen
in verstaubten Manuskripten

Die Saison 2017/18 – 
75 Jahre FAMB

„Nicht weil sie alt oder mit geheimnisvollen Zeichen in verstaubten Manuskripten überliefert ist, wird die alte Musik wieder aufgeführt, sondern weil sich für den Kundigen hinter diesen Zeichen Kunstwerke verbergen, die darauf warten, zu neuem Leben erweckt zu werden.“ 

Diese Passage aus der Einleitung zum allerersten  „Generalprogramm“ der FAMB vom Herbst 1942 drückt die Motivation für die Konzertreihe treffend aus. Am 23. September 1942 wurde der Verein „Freunde alter Musik in Basel“ gegründet, um den alten Werken „neues Leben“ im Erklingen zu ermöglichen. Am 30. November 1942 fand bereits ein sogenanntes Werbekonzert mit -französischer Musik des 17. und 18. Jahrhunderts statt, am 28. Februar 1943 das erste reguläre Konzert, ein „Hauskonzert“ mit Liedern von Ludwig Senfl im Vortragssaal des Kunstmuseums – ich komme darauf zurück.

So trivial der eingangs zitierte Abschnitt erscheinen mag, so sehr ist er auch ein Kind seiner Zeit, denn die alte Musik (damals noch mit kleinem „a“ als Adjektiv der Chronologie und nicht als etablierter Zweig einer künstlerischen Praxis mit grossem „A“) wird ganz auf die schriftliche Überlieferung projiziert: schwer entzifferbare Aufzeichnungen von WERKEN, hinter denen sich der Charakter einer einzigartigen Schöpfung verbirgt, die mit den emphatischen Werken des musikalischen Kanons von Monteverdi bis Stockhausen in eine Reihe gesetzt werden kann. Musik wurde zu jener Zeit vor allem als Produkt einer schöpferischen Künstlerpersönlichkeit betrachtet, sei sie älter oder jünger, die Aufzeichnung als Repräsentation der vollständigen musikalischen Intention. – In dieser Zuspitzung wird der grösste Unterschied zur heutigen Praxis der Alten Musik deutlich: Wir haben inzwischen gelernt, in unterschiedliche Schichten der erklingenden Musik zu differenzieren. Dort gibt es fast immer noch den Kern einer Aufzeichnung oder eines vorgegebenen Modells. Das Erklingen kann so nahezu vollständig festlegt sein – wie in den Kompositionen Johann Sebastian Bachs –, aber es gibt auch Strukturen mit buchstäblich viel Spielraum, wie z.B. in einem Partimento aus derselben Zeit, bei dem der Tastenspieler die Komposition über eine skizzenhafte Niederschrift des musikalischen Verlaufs aus dem Moment heraus erschafft, oder in der Verzierungspraxis von Gesang und Melodieinstrumenten, die von den Kom-ponisten bei der Niederschrift ihrer Kompositionen ein-berechnet wurde.

Die Historische Musikpraxis – wie die praktisch-künstlerische Umsetzung Alter Musik heute in Basel genannt wird – hat sich in den vergangenen Jahrzehnten eine historisch informierte Freiheit gegenüber dem Notentext verschafft, die wohl als grösste Errungenschaft in der Auseinandersetzung mit Alter Musik bezeichnet werden kann. Dies bringt den Musiker selbst wieder ins Spiel, der nicht nur Ausführender ist, sondern einen eigenen schöpferischen Beitrag für die Aufführung leistet. Die „Freunde Alter Musik Basel“ haben diese Entwicklung nun über 75 Jahre begleitet und einer interessierten Öffentlichkeit vermittelt. Wir sind stolz und dankbar, liebe AbonnentInnen und Abonnenten, dass Sie uns über mehrere Generationen bis heute die Treue gehalten und die FAMB damit zum ältesten und traditionsreichsten Konzertveranstalter für Alte Musik auf diesem Globus gemacht haben.

Unsere Jubiläumssaison spiegelt die aktuelle Praxis der Alten Musik auf ganz unterschiedliche Weise wider. Sie beginnt mit Musik des frühen 15. Jahrhunderts von den aus Flandern gebürtigen Gebrüdern Lantins, dargeboten von Ensemble LE MIROIR DE MUSIQUE, in dem zwei neue Dozierende der Mittelalterabteilung der Schola Cantorum Basiliensis / Musikhochschulen FHNW zu hören sein werden: Baptiste Romain und Marc Lewon. Das italienische Ensemble MICROLOGUS unter der Leitung von Patrizia Bovi steuert ein Programm über die Praxis des Kontrafazierens bei, lebhafte weltliche Lieder über Melodien aus dem sakralen Bereich – Recycling in Musik sozusagen. Im dritten Konzert steht der Sänger Marc Mauillon im Mittelpunkt, mit einem Programm ausdrucksvoller venezianischer und französischer Musik des 17. Jahrhunderts. Virtuose Violinmusik von teils kaum bekannten Komponisten des deutschen und österreichischen Barock bringt die Basler Geigerin Plamena Nikitassova mit einer hochkarätig besetzten Continuo-Gruppe zu Gehör, und im letzten Konzert der Saison stellen wir nochmals einen neuen Dozierenden der Schola Cantorum Basiliensis vor: den Zinkenisten Frithjof Smith mit seinen virtuosen Mitspielern von LES CORNETS NOIRS und dem Bassisten Wolf Matthias Friedrich.

Die beiden Sonderkonzerte geben ein weiteres Mal Absolventen und Studierenden der Schola Cantorum Basiliensis die Gelegenheit, sich vor einem kritischen Publikum zu bewähren. Ein gambistisches Feuerwerk ist im Forqueray-Programm des jungen SCB-Absolventen Teodoro Baù und seiner Begleiter zu erwarten und ein ganz besonderes Programm stellt das Vokalensemble  DOMUS ARTIS mit dem Tastenspieler Johannes Keller (Dozent der SCB) vor. Eine rekonstruierte vieltönige Orgel des späten 16. Jahrhunderts begleitet das Ensemble durch hochchromatische Madrigale von Michelangelo Rossi; eine neuartige musikalische Erfahrung in Alter Musik, die Sie sich nicht entgehen lassen sollten.

Zwei Konzerte haben wir speziell für das Jubiläum der FAMB ausersehen. Im Konzert 5 erleben sie eine aufwendige Eigenproduktion in Form einer TanzKreation der Ensembles AD FONTES und CHOREA BASILEAE. Musik von Purcell, Marais und Vivaldi, aber auch von den zeitgenössischen Komponisten Bardia Charaf und Thomas Leininger wird zu einer Choreografie über die Artus-Geschichte verwoben und auf der Bühne des Scala in Basel gezeigt. 

Als Reminiszenz an das erste offizielle FAMB-Konzert vom Februar 1943 schliesslich präsentieren wir im Januar ein Konzert mit grossbesetzten Werken von Ludwig Senfl, teils aus noch unveröffentlichten Quellen. Wie schon 1943 werden Dozierende und -Studierende der Schola Cantorum Basiliensis den Abend bestreiten. FAMB-AbonnentInnen erhalten Gutscheine für Freikarten, denn wir möchten uns mit diesem Konzert bei unseren Mitgliedern sehr herzlich bedanken. Sie halten unseren Verein am Leben und spornen uns mit Ihrer Neugier zu immer neuen Konzertideen an.

Zum 50. Jubiläum der FAMB 1983 ist eine gedruckte Festschrift in Buchform erschienen, zum 75jährigen Jubiläum haben wir nun der digitalen Zeit Rechnung getragen und sämtliche Programme der FAMB in Zusammenarbeit mit RISM Schweiz elektronisch zugänglich gemacht. Auf der Website http://d-lib.rism-ch.org/onstage/ können Sie nach Lust und Laune in den alten Programmen stöbern, die mittlerweile eine eigene Quelle zur Geschichte der Historischen Musikpraxis des 20. und 21. Jahrhunderts geworden sind.

Ein ganz besonderer Dank gilt abschliessend unseren finanziellen Unterstützern – Stiftungen, Mäzenen, staatlichen Förderinstitutionen und Kooperationspartnern –, ohne welche die Aktivitäten der FAMB nicht über siebeneinhalb Jahrzehnte möglich gewesen wären. Wir feiern unser Jubiläum in der Hoffnung, die Arbeit erfolgreich fortsetzen zu können und dereinst auf 100 Jahre FAMB zurück zu blicken. Die Alte Musik als historisch informierte Herangehensweise an die musikalische Überlieferung hat nun ein Dreivierteljahrhundert ihre Vitalität bewiesen, sie wird diese in den nächsten Jahrzehnten nicht verlieren.

Prof. Dr. Thomas Drescher
künstlerischer Leiter

 

Zum Geleit

Neugierige Alte Musik

Vor 25 Jahren, im Generalprogramm der FAMB für die 50. Jubiläumssaison 1991/92, wurde an dieser Stelle die nie verblassende Farbe gewürdigt, die unser Verein seit einem halben Jahrhundert in das Bild des Basler Musiklebens bringt. Verbunden wird dieses poetische Bild mit einem Dank an die treuen Konzertbesucher, -deren „Neu“-gierde grösser gewesen wäre als das Interesse am „Alten“. Diese Feststellung könnte heute einfach so wiederholt werden – vielleicht verbunden mit einem Seitenblick auf die inzwischen grelleren Farben des Basler Musiklebens generell, die den spezifischen Beitrag der FAMB schwieriger erkennen lassen –, aber das wäre mit zwei Makeln behaftet: Zum einen würde das als Dank ausgesprochene Lob an die FAMB-Mitglieder Lügen gestraft, da die schlichte Wiederholung in der Konsequenz einem Verharren gleichkommt und damit wie ein Stillstand aussieht. Zum anderen bietet gerade das hier vorliegende Jubiläumsprogramm – nun für die 75. Saison! – so viel Neues im Alten, dass die erwähnte Neugierde wie das Interesse am Alten ordentlich auf die Probe gestellt werden. Bei der Gründung der FAMB 1942 wurde laut der Einladungs-broschüre An die Musikfreunde Basels vor allem der erst noch zu entdeckende Kunstcharakter der Alten Musik betont: Nicht weil sie alt oder mit geheimnisvollen Zeichen in verstaubten Manuskripten überliefert ist, wird die alte Musik wieder aufgeführt, sondern weil sich für den Kundigen hinter diesen Zeichen Kunstwerke verbergen, die darauf warten, zu neuem Leben erweckt zu werden. Daraus liess sich die Notwendigkeit eines speziellen Konzertvereins ableiten, um durch einen Zusammenschluß aller Freunde der alten Musik solche Aufführungen für eine interessierte Öffentlichkeit äußerlich zu erleichtern. 

Nun, heute und 75 Jahre später ist der Kunstwürdigkeit Alter Musik kein Thema mehr und Alte Musik hat sich im Musikleben nicht nur Basels bestens etabliert – dies nicht zuletzt wegen des erfolgreichen Wirkens der Schola Cantorum Basiliensis, die schon bei der Gründung der FAMB den Hintergrund lieferte, vor dem im Vordergrund die Konzerte der FAMB die Farbakzente setzten. Dabei lässt sich inzwischen durchaus eine gewisse Routine beobachten, wie sie in jedem „Konzertbetrieb“ üblich ist. Oder anders gesagt: Auch die einstmals so fremde, vielleicht sogar exotisch wirkende Alte Musik ist im musikalischen Alltag angekommen und damit zu einer Normalität geworden. Das hat viele positive Aspekte, aber es birgt auch eine Reihe von Gefahren: Etwa wenn die Neugier auf Unbekanntes, ja vielleicht sogar zunächst Befremdliches verloren geht, wenn nur noch die Erwartungen und Anforderungen eines „Betriebs“ erfüllt werden oder wenn einmal erarbeitete Entscheidungen der Interpretation nicht mehr hinterfragt werden. Das gilt für die Musiker ebenso wie für die Konzertbesucher, die beide Teil des gleichen „Betriebs“ sind. 

Das Unbekannte und Neuartige in der Alten Musik findet sich nicht nur im Repertoire (oder eben in der noch nicht wieder aufgeführten Musik, die es bislang nicht in das übliche Repertoire geschafft hat), sondern auch im Instrumentarium, dessen Erforschung immer neue Überraschungen bereit hält, oder auch in den Vortragsweisen und Spielarten. Hier liegt etwa im Bereich der Stimmungen und Temperaturen, also der Zuordnung der Töne zu bestimmten Tonhöhen, noch unerhörtes Potential, lassen diese doch ein bekanntes Musikstück in einem neuen klanglichen Gewand erklingen. Ähnliches gilt auch im Aufführungsmodus, der sich heute auch im Bereich der Alten Musik weitgehend an den Konzertritualen des 19. Jahrhunderts orientiert – bzw. diese imitiert. Hier gab es zu Beginn der FAMB neben öffentlichen Konzerten noch sogenannte „Hauskonzerte“, Konzerte in einem intimeren Rahmen, in dem auch Erläuterungen oder Vorträge möglich waren. Hier sind heute weitere Veranstaltungsformen oder Konzertorte auszuprobieren, die von historischen Musiziersituationen inspiriert sein können.

Wie dem diesjährigen FAMB-Programm zu entnehmen ist, werden einige der hier angedeuteten Aspekte umgesetzt. In diesem Sinne bleiben die Alte Musik und die sie äußerlich erleichternde FAMB innovativ im ursprünglichen Wortsinn – hören und sehen Sie nur genau hin! 

 

Martin Kirnbauer
Leiter Forschung der SCB

 

 

 

 

 

 

 

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