Die letzte Saison hat uns vielfältige Perspektiven der historischen Musikpraxis beschert, jede für sich eine eigene Welt, alle jeweils exzellente musikalische Darbietungen. Diesen Reichtum an verschiedenen Sichtweisen wollen wir als FAMB weiterhin begleiten: Zusammen mit Ihnen sollen die Konzerte besondere und einzigartige Momente werden, vielleicht schon vor dem Ereignis, falls wir uns die Zeit dazu nehmen können – oder auch nachdem uns die Musik neugierig auf mehr gemacht hat.

Lassen Sie uns die Konzerte der 82. Saison kurz zusammen betrachten, in chronologischer Reihenfolge und begleitet mit Empfehlungen der Künstler:innen, die Ihnen als Amuse bouche oder als Dessert dienen können. Nehmen Sie unsere Einladung an und sich die Zeit, einige Tage vor oder nach dem Konzert unsere Vorschläge zu erkunden: ganz sicher werden Sie das Konzert anders betrachten, anders begleiten, anders aufnehmen!

 

->  Iva Rosario, Art and Propaganda: Charles IV of Bohemia, 1346–1378 (2000)
->  Gemälde von Theoderich von Prag
->  … und zum Erkunden: Prager Dom, Nationalgalerie im St. Agnes-Kloster in Prag, Burg Karlštejn

Die böhmischen Länder waren Schauplatz von Christianisierungs­bemühungen, ausgehend von Regensburg und Passau. Ab den achtziger Jahren des 10. Jahrhunderts begann die Region sich zu emanzipieren – mit der Gründung des Prager Bistums und seines ‘Collegium Cleri’ (später das Kapitel des Hl. Veit bei der Hauptkirche und Kathedrale). Der Sitz des Bischofs und des Kapitels war die Prager Burg, die zu einem der wichtigsten weltlichen Kulturzentren in Böhmen wurde. In den Musikhandschriften des Kapitels findet sich ein sehr interessantes Repertoire, welches im Programm 
Cor Europae des TIBURTINA ENSEMBLE unter der Leitung von ­Barbora Kabátková im Zentrum steht. Dieses Repertoire führt uns um das Jahr 1100 in die Region Aquitanien – und zwar nicht nur im Bereich des einstimmigen geistlichen Repertoires, sondern auch im Bereich der frühen Polyphonie. Prag hat dieses Repertoire bewahrt, es auf seine Weise verändert und noch lange Zeit weiter kultiviert.

 

->  Jean-Claude Carrière, La controverse de Valladolid (2016)
->  Jean Dumont, La vraie controverse de Valladolid: premier débat des droits de l'homme (1995)

Das Repertoire der spanischen Vihuelistas gehört heute nicht zu den oft gespielten Werken in den Konzertsälen und Enríquez de Valderrábanos Werk ist praktisch unbekannt, selbst bei einem Publikum, das sich für historische Musikpraxis interessiert. Das Werk ­Silva de Sirenas (Valladolid 1547), das unserem ersten Konzert der Saison seinen Namen ausleiht, ist in sieben Bücher unterteilt, mit Musik für Vihuela solo, Vihuela und Gesang sowie einem ganzen Heft, das Vihuela-Duetten gewidmet ist.

ARMONÍA CONCERTADA – eine Fabrik der imaginären Geschichten, der Vor- und Fortsetzungen, der Rekonstruktionen – lädt uns ein, durch eine nicht existierende Landschaft zu reisen, die aus ­Fakten, Beweisen und zuverlässigen Zeugenaussagen besteht. Das Ensemble präsentiert ein speziell für das FAMB konzipiertes ­Programm mit Musik für Gesang und Vihuelas de Mano, die zum einen Valderrábano in seiner Sammlung veröffentlicht hat, sowie zum anderen eine Reihe von Werken, die von Ariel Abramovich in Tabulatur gesetzt wurden, inspiriert von Enríquez selbst sowie den Hinweisen von Fray Juan Bermudo.

 

->  Tessa Murray, Thomas Morley: Elizabethan Music Publisher (2014)
->  Suzanne Lord, Music from the Age of Shakespeare: A Cultural History (2003)
->  Diana Poulton, John Dowland (1972)

Seit ihrem Debüt im Jahr 2023 erforscht das FLEET STREET REVIVAL die einzigartigen klanglichen Möglichkeiten, die die Instrumente des «Broken Consort» nach Thomas Morleys Consort Lessons ­bieten. Die heute eher exotisch wirkenden Farben, die durch die gezupften Metallsaiten der Cister und der Bandora entstehen, verweben sich mit denen der vier bekannteren Instrumente zu einem schillernden Klangteppich.

In Joyne Hands hören wir Musik von Komponisten aus der Tudor-Zeit während der Herrschaft von Königin Elizabeth I. (1558–1603), die von Historiker:innen auch als das Goldene Zeitalter der englischen Geschichte bezeichnet wird.

 

->  Philipp Blom, Eine italienische Reise (2018)

Mit Musica Transalpina eröffnet das Ensemble HISTOIREFUTURE neue Perspektiven auf die Musik des frühen 17. Jahrhunderts, ­indem es die Musik von den Reisen ihrer Komponist:innen und den Wegen ihrer Einfälle her denkt. Bewegung ist um 1600 nicht nur im musikalischen Material festzustellen, sondern auch bei deren Träger:innen selbst. Wie schon in vorangegangenen Arbeiten bleibt das Ensemble seiner eigenen DNA treu: einer einzigartigen ­Mischung aus ­packender Virtuosität auf dem Feld der Diminution und Improvisa­tion in Verbindung mit einer faszinierend spielerischen Präsentation, die vom Musiktheater beeinflusst ist. Im Zusammenspiel mit den von Matthias Klenota aufwendig recherchierten ­Texten wird dabei ein ganz besonderer imaginärer Raum geschaffen, der sich mit komponierter und improvisierter Musik verwebt.

 

->  Igor Stravinsky, Poetics of Music in the Form of Six Lessons (1947, 1970)
->  Corbyn Morris, An essay towards fixing the true standards of wit, humour, raillery, satire, and ridicule […] (1744, 1972)
-> Choreographie der Uraufführung zu Stravinskys Sacre du printemps (Vaslav Nijinsky,1913)
-> Choreographie zu Stravinskys Sacre du printemps (Pina Bausch,1975)

The Rite of Spring – Baroque Edition ist ein schwungvolles und fesselndes Programm. Es wird fein ausgelotet, wie verschiedene Stile durch die Idee einer Geschichte vereint werden können. Das Konzert bietet eine ungewöhnliche Erfahrung sowohl für das Kennerpublikum der Alten Musik in Basel, für Liebhaber von Strawinskis Sacre du printemps sowie alle anderen Konzertbesucher:innen. Es kann miterlebt werden, wie junge Künstler:innen ihr Wissen der Komposition, Literatur und Musikkultur zu einem Ganzen verknüpfen. Den Feinheiten und der Strenge der Historischen Aufführungspraxis treu bleibend, überschreitet die Neukreation von IL CONCERTO­ INTEMPESTIVO in mancherlei Hinsicht die bisherigen Grenzen der Tradition. Das Ensemble erkundet die Vielseitigkeit des kreativen Denkens in der heutigen Alten Musik und gestaltet so ein neu in sich schlüssiges Gesamtwerk, dass sowohl für erfahrene wie neugierige Ohren attraktiv und aussergewöhnlich ist.

 

-> Aufnahme der Messe in h-Moll von J. S. Bach (Bach Collegium Japan, Masaaki Suzuki, 2007)

Sehr oft – man könnte meinen jedes Mal – fokussiert die FAMB bei den Projekten in Zusammenarbeit mit der SCHOLA CANTORUM ­BASILIENSIS auf Repertoires und Praktiken ausserhalb der Norm, was der SCB unter anderem erlaubt, Forschungsthemen näher an die musikalische Praxis und damit an das Publikum heranzuführen.
Bei der Durchsicht der SCB-Archive finden sich in den letzten Jahren kaum Beispiele für gross angelegte Projekte rund um Standardwerke. Ein Werk wie die Messe in h-Moll von J. S. Bach, bei dem eine grosse Anzahl von Studierenden beteiligt ist und dass die SCB ­eigenständig mit Chor, Orchester und Solist:innen aufführen kann, ist von grossem Wert. Für Sie, geschätzte Leser:innen, sowie für uns bei der FAMB und an der SCB wird es eine einmalige Gelegenheit sein, unter der musikalischen Leitung von Masaaki Suzuki, einer Persönlichkeit, die einen entscheidenden Einfluss auf die ­Rezeption von Bachs Werk im Bereich der historischen Musikpraxis hatte und immer noch hat, dieses Werk neu zu erleben.

 

-> Xavier Carrère, Mon respectueux, mon profond silence parle pour moi (1998)

Sonate a quattro senza Cembalo: so sind die vier wundersamen ­Sonaten von Alessandro Scarlatti überschrieben. Angesiedelt zwischen Consortmusik und Streichquartett sind diese experimentellen Stücke ohne Generalbass wahre Juwelen italienischer Instrumentalmusik, in denen Alessandro als hervorragender Kolorist und Kontrapunk­tiker auftritt. Sie sind in der Tradition der Kirchensonate des Seicento verwurzelt und blicken gleichzeitig visionär nach vorne auf eine modernere Instrumentalsprache.
Im Programm Al tavolino senza cimbalo stellt das Ensemble LES ­RÉCRÉATIONS Alessandro Scarlattis Sonaten in Perspektive zu älterer Musik aus dem 17. Jahrhundert vor, zusammen mit empfindsamer Musik seines Bruders Francesco und seines Sohnes Domenico.

 

-> Nicolas Ryhiner, Im Surinam (2019)

Die so genannte Affaire de Kourou, eine heute nahezu vergessene Episode, spielte sich 1763 ab, als nach Frankreichs Niederlage im Siebenjährigen Krieg im Rahmen einer französisch-kolonialen Kampagne etwa 20‘000 Europäer angeworben und 11‘000 von ihnen nach Französisch-Guyana geschickt wurden. Es waren zumeist verarmte Bauern und aussichtslose Existenzen, grösstenteils aus deutschsprachigen Grenzgebieten (Elsass, Lothringen, Rheinland) sowie aus Norditalien und Österreich. In den Wartelagern nahe den Häfen von Rochefort, Bordeaux oder La Rochelle meldeten sich 
aber auch über vierzig Musiker und Komponisten, darunter namhafte Cembalisten, Gitarristen, Violinisten, Trompeter, Hornisten, ­Flötisten und Schlagzeuger aus Frankreich, Belgien, Österreich und Deutschland.

Das Projekt Kourou – Musik, Traum und Wirklichkeit evoziert die reiche Klanglandschaft der ephemeren sowie tragischen Colonie ­Libellule von Kourou zwischen 1763 und 1765. Zum Abschluss ­unserer 82. Konzertsaison führt uns das von Pedro Memelsdorff jüngst gegründete Ensemble ARLEQUIN PHILOSOPHE in ebendiese Klanglandschaft und kommentiert die verschiedenen Kontexte.

Liebes Publikum, Sie merken: die vielen Wege, die farbenreiche Palette an Musiken und Anschauungen! Die Auswahl aus zahlreichen interessanten Programmvorschlägen und Angeboten ist uns nicht leicht gefallen – was uns zugleich zuversichtlich stimmt, dass wir auch in Zukunft ein derartiges Konzertprogramm anbieten können.

P.S.
Studierende aufgepasst: für Euch ist der Eintritt ab dieser Saison frei.


Prof. Carlos Federico Sepúlveda
Künstlerischer Leiter

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