Zwar war Italien auch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts noch in musikalischen Dingen das Maß aller Dinge. Doch wurden auch nördlich der Alpen Traditionen des Violinspiels gepflegt, deren Wagemut und Innovationsfreude bis heute verblüffen und faszinieren.
Anders als es der in Johann Jakob Walthers Sonatendruck von 1694 verwendete Begriff eines barocken Lust-Gartens mit schnurgeraden Achsen und eingehegter Vegetation vermuten ließe, ist die deutsche Violinmusik dieser Ära weder vorhersehbar noch geordnet. In den Sonaten und Tanzsätzen eines Biber, Muffat, Walter, Döbel und Lizkau offenbart sich vielmehr eine Lust am phantastischen Denken und Experimentieren, die die Beherrschung des kompositorisch-spieltechnischen Handwerks voraussetzt, in der Fabulierfreude der Hände und Ideen jedoch weit darüber hinausgreift.
An großen Höfen und fürstlichen Haushaltungen in Prag, Dresden, Salzburg, Wien und Kremsier kultivierte man eine Kunst der geistreichen und illusionistischen Unterhaltung, die ein hohes Niveau improvisatorischer Spontaneität voraussetzte und musikalische Pizarrien aller Art einschloß. Ihr Spektrum reichte von der durch Doppelgriffe klingend vorgetäuschten Polyphonie auf dem Melodieinstrument Geige bis zum experimentellen Angriff auf die Grenzen der barocken Harmonik. Exemplarisch dafür steht Georg Muffats Violinsonate von 1677, deren enharmonische Verwechslungen auf dem Clavemusicum omnitonum besonders gut zur Wirkung kommen. Ein Höhepunkt des Konzertes ist zudem Walters selten gespielter Gara di due violini in uno, der die Camouflage einer Triosonate für einen einzigen Solospieler sowohl typographisch wie klingend auf die Spitze treibt. In dieser jenseits aller Gefälligkeit angesiedelten Musik verbindet sich harmonische Spekulation mit kühnem Witz und einer poetischen Virtuosität, in der man zugleich die Emanzipation des instrumentalen Stils vom vokalen Satzgerüst und vom formelhaften Passagenwerk der alten Diminutionen wahrnehmen kann.
Anselm Hartinger