Die Entdeckung von Petrus Wilhelmi de Grudencz – einem unbekannten Dichter-Komponisten des Du Fay–Zeitalters – in den 1970er Jahren, zählt zu den grössten Leistungen der Musikwissenschaft hinter dem (damaligen) Eisernen Vorhang. Geboren wurde Petrus 1392 in Pommern und er studierte an der Krakauer Universität. Später wurde er capellanus von Kaiser Friedrich III. und wirkte vor allem in Zentraleuropa. Seine Cantiones, Motetten und Kanons zeigen einen engen Bezug zur musikalischen Tradition dieses grossen Kulturraums, zu dem im Spätmittelalter das ganze Heilige Römische Reich (inkl. Böhmen) sowie die Königreiche von Polen und Ungarn zählten. In seinem Schaffen verbindet sich die lateinische Dichtung eines spätmittelalterlichen Universitätsgelehrten mit einem archaisch klingenden musikalischen Erbe, das einerseits die Vorbilder der Ars Nova kennt, andererseits die althergebrachte Kompositionsweise der populären Polyphonie in lokaler Tradition aufnimmt, ohne dabei ganz auf „zeitgenössische“ Klänge zu verzichten. Besonders populär wurden Petrus‘ Werke in den Kreisen gebildeter Musikliebhaber, die seine „Worte“ (verba) und „Melodien“ (modulamina) sowie das intellektuelle Spiel zwischen diesen beiden Elementen verstehen und geniessen konnten. Als kreative Persönlichkeit war Petrus Wilhelmi natürlich keine Ausnahmeerscheinung in Zentraleuropa. Im Programm dieses Abends möchten wir jene weiträumige Musikkultur, die ihn prägte, vorstellen. Die Musik erhebt keinen Anspruch auf Fortschrittlichkeit, aber verdient sie deshalb weniger Aufmerksamkeit? Unsere Gegenwart hat sich einen Kanon „klassischer“ Werke geschaffen, dabei aber das differenzierte Bild der Musikkultur aus dem Auge verloren und viel Anmut preisgegeben, die in der traditionellen Überlieferung zu finden ist. Lernen Sie die Schönheit dieses selten aufgeführten Repertoires kennen und schätzen!
Michał Gondko