Obwohl das 16. Jahrhundert gerne als eine Epoche der Vokalpolyphonie gesehen wird – von Josquin bis Palestrina und Lasso – ist es doch eine Zeit grosser musikalischer Entwicklungen, aus denen die musikalischen Formen, Besetzungen und Spielpraktiken erwachsen sind, die die musikalische Neuzeit prägen sollten. Im Windschatten des vokalen Repertoires entwickelte sich eine ausgeprägte instrumentale Kultur auf Melodieinstrumenten, die aber nur zum Teil den Weg in die Schriftlichkeit gefunden hat, beispielsweise in den Diminutionstraktaten von R. Rogniono, O. Bassani oder G. dalla Casa.
Ein besonders geeignetes Instrument für diese neue Diminutionspraxis war die Viola da gamba, die mit der Wende zum 16. Jahrhundert im höfischen Kontext erschienen war. Ihre Kantabilität, Geläufigkeit und ihr grosser Umfang setzten den Diminutionen kaum Grenzen, sie konnten vom Bass bis in den hohen Diskant durch beliebige Stimmen einer vokalen Vorlage getrieben werden. Weil damit der Bezug zu einer einzigen Stimme nicht mehr gegeben war, betrachtete man sie gewissermassen als satztechnischen „Bastard“, womit auch das Instrument selbst den Namen „Viola bastarda“ erhielt. Trotz seiner gleichsam „illegitimen“ Spielweise ist es aber eine Königin der Vielseitigkeit und Verzierungspraxis unter den Instrumenten des 16. Jahrhunderts.
Paolo Pandolfo beschäftigt sich seit langem mit diesem Repertoire auf der Grenzlinie zwischen Vokalität und instrumentalem Idiom. In seinem Programm stellt er eine repräsentative Auswahl von italienischen Diminutionen vor, deren vokale Sätze vom Ensemble „La Pedrina“ beigesteuert werden, womit zwei Aggregatzustände derselben Musik ineinandergreifend zu hören sind.
Thomas Drescher