Der aus dem spätmittelalterlichen Spanien stammende Codex Las Huelgas gehört zu den berühmtesten Quellen mehrstimmiger Musik. Es handelt sich um eine umfangreiche Sammlung von Motetten, Conductus, Sequenzen, Cantilenae und Ordinariumsvertonungen, die während des 14. Jahrhunderts im königlichen Kloster Las Huelgas Verwendung fand. Bisher wurde die Niederschrift des Codex auf ca. 1300 bis 1325 datiert, aber neuste codicologische und repertoiremässige Untersuchungen machen eine Datierung näher an der Mitte des 14. Jahrhunderts plausibel, was wichtige Konsequenzen für die Aufführungspraxis hat. Unser Konzert erprobt ein breites Spektrum an Aufführungsmöglichkeiten bezüglich Stimmverteilung, Instrumentierung und rhetorischen Mitteln. Das Programm entwirft auch verschiedene Szenarien für die liturgische und musikalische Beziehung zwischen Männern (Kaplane und professionelle Sänger) und Frauen im monastischen Kontext. So präsentieren wir die Rekonstruktion eines im Codex Las Huelgas fragmentarisch überlieferten Stücks. Es wird von Männern gesungen, die sich an Frauen wenden, um sie ausdrücklich zum polyphonen Musizieren zu ermuntern. Dieses Stück enthält Bezüge zu Philomela(die Nachtigall) als Metapher für weibliches andächtiges Singen. In diesem Kontext steht Philomela für die virtuosesten und verführerischsten Sängerinnen. Besondere Brisanz erlangt die Motette auf dem Hintergrund der zeitgleichen Kontroversen um die Schönheit des weiblichen Singens, das Problem der Erotisierung der göttlichen Liebe und die Gefahren des gleichzeitigen und wechselseitigen Zusammensingens von Männern und Frauen.
Neben dem Codex Las Huelgas präsentiert das Programm neue Quellen mittelalterlicher polyphoner Musik und Mensuralmusik, die erst jüngst in spanischen Kathedralen und Archiven wieder entdeckt wurden. Musik aus den prächtigen Kathedralen Sevillas, Toledos, Sigüenzas sowie von der Königliche Kapelle Aragons wird zum ersten Mal seit dem Mittelalter wieder zu lebendigem Klang erweckt.
David Catalunya