Das Programm geht einerseits den Spuren der legendären Sängerin Sappho aus Lesbos nach, entwirft aber auch ein stimmungsmässiges Gemälde des griechischen 6. Jahrhunderts v. Chr. insgesamt.
Sappho, von Platon als zehnte Muse bezeichnet, steht mit ihrerDichtung im Mittelpunkt unseres Programms. Nicht umsonst hat ihre ,Lyrik’ – Gesänge mit Begleitung der Lyra – sie zum bewunderten und vielfach auch verwirrenden Brennpunkt über die Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg gemacht. Ihre Verse voller verzehrendem Verlangen und Schmerz berühren uns denn auch heute noch. Neu, und hier verbinden sich ihre Gesänge mit denjenigen ihrer verschiedenen Kollegen Alkaios, Anakreon, Theognis oder auch Solon, ist vor all allem der zutiefst persönliche Ausdruck. Zum ersten Mal in der abendländischen Kultur ist der Schritt vom epischen Erzählen im Stile des Homer zum Mitteilen des individuellen Erlebens getan. Man könnte es das Erwachen des Ichs nennen. Verzweiflung, Intimität, Lebenslust wie auch Lebensmüdigkeit werden genauso angesprochen wie staatsmännisches Selbstbewusstsein.
Interessanterweise geht damit auch eine musikalische Veränderung einher: Der daktylische Hexameter des Epos mit seinen stets voranschreitenden Versfüssen wird abgelöst von einer rhythmischen Vielfalt, die auch das Stocken, das Fragende in sich trägt, eben: das Menschlich-Individuelle.
Indes: Damit es überhaupt so weit kommen kann, sich an eine musikalische Erarbeitung der Lyrik aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. zu wagen, braucht es auch und vor allem konkrete Töne. Auf Grund eines langjährigen Forschungsprojektes der SCB und in Zusammenarbeit mit dem Instrumentenbauer Paul J. Reichlin sind faszinierende Instrumente wie Lyra, Barbitos und Kithara ebenso wie die stets doppelt geblasenen Auloi nach originalen Vorlagen oder auch Abbildungen vom Beginn des 5. Jahrhunderts v. Chr. entstanden. Alle diese Instrumente liefern verlässliche Töne mit einem ganz eigentümlichen Klang, welcher der Grundierung einer neu imaginierten Musik dient. Es ist eine Musik, die sich mit ihrem wie von alleine entstehenden Timbre ganz den Gegebenheiten der Lyrik anschmiegt.
Conrad Steinmann