Dieses Programm erinnert an die Musik, die während einer Migrationskampagne gehört und teilweise erdacht wurde, die 1763–64 11‘000 Europäer aus Frankreich nach Guayana brachte. Bei den meisten handelte es sich um Bauern aus deutschsprachigen Grenzgebieten, die durch eine grösstenteils trügerische Propaganda angelockt wurden; bei vielen, aber auch um Musiker, denen man hohe Gehälter «entsprechend ihrer Qualifikation» versprach.
Auf die Märsche der zum Schutz der neuen Siedler eingesetzten Truppen und die Liebesgesänge und synkretistischen Liturgien selbstbefreiter afrikanischer Sklaven folgt ein Hauskonzert, wie es etwa in den Residenzen der Gouverneure der neuen Kolonie, Kourou, zu hören war. Dort trafen zwei aussergewöhnliche Komponisten zusammen: der «teuflische» Geiger M. de Tremais und das Harfe spielende Wunderkind Philippe Hinner. Ihre Begegnung hinterliess Spuren in Hinners Sonaten, die in Paris veröffentlicht wurden, nachdem das Wunderkind als Waise seiner Eltern und Geschwistern nach Europa zurückkehrte.
Denn Kourou endete tragisch: In nur einem knappen Jahr starben 9‘000 der 11‘000 Siedler an Tropenkrankheiten und mangelnder Versorgung, woraufhin die französische Regierung nach überstürzten Trauerfeiern beschloss, die Niederlage zu vertuschen und Kourou in eine Strafkolonie zu verwandeln. Diese beherbergte dann das grauenhafte Gefängnis Île du Diable, das gegenüber Kourous Ruinen errichtet wurde und zu dem berühmten Film Papillon aus dem Jahre 1973 inspirierte.
Unser Konzert endet deshalb mit drei Sätzen einer Bussmotette Grètrys, zwei Sätzen aus der wohl populärsten Totenmesse jener Zeit, Gossecs Requiem, und schliesslich mit Papillons Leitmotiv.
Hiermit möchte Kourou das universale Thema der (Un-)Freiheit ansprechen: die, der von Elend und Hoffnung getriebenen Migranten, der brutal versklavten Afrikaner oder der vergessenen Gefangenen auf einem verlassenen Felsen. Keiner dieser Umstände bleibt leider unserer Gegenwart erspart.
Nach über dreissig Jahren anhaltendem Erfolg mit dem Ensemble MALA PUNICA, einem Ensemble, das spätmittelalterliche Repertoires und Aufführungsweisen grundlegend revolutioniert hat, gründete Pedro Memelsdorff kürzlich das Ensemble ARLEQUIN PHILOSOPHE, ein spätbarockes/frühklassisches Ensemble, das Musik der französischen Karibik-Kolonien aufführt.