„…ihnen küsse ich 1000mahl die Hände und bin dero gehorsammste Sohn. lezten Sonntag habe ich in Münster eine neüe Mess von H: Richter gehört: die charmant geschrieben ist / Wolfgang Mozart” An Leopold Mozart, 26. Oktober 1778
Wird in einem Brief an den Vater und wohl einzig wirklich Vertrauten in musikalischen Dingen noch etwas zwischen Grussformel und Unterschrift gezwängt, so kann das nicht belanglos sein. Gemessen an dem farbigen Katalog fantasiereicher Beschimpfungen, die Mozart gerne für Musikerkollegen verwendet hat, kommt diese positive Privat-Rezension in der Tat einem Ritterschlag gleich.
Natürlich zeigt sich in dieser Sichtweise auch, dass für uns, die wir mit grosser geschichtlicher Distanz auf die Musikszene der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts blicken, die qualitative Einschätzung von Musikern häufig vorurteilsbelastet ist.
Die Wertschätzung eines Musikers in vorrevolutionärer Zeit definierte sich jedoch anders; und Franz Xaver Richter (1709–1789) hat sich davon ein beachtliches Stück gesichert. Seine grosse Anerkennung als Sänger, Geiger, Kapellmeister, Komponist und Musiktheoretiker gründete auf festen Positionen, unter anderem in Mannheim, dem unbestrittenen Zentrum für die beste und innovativste Musikkultur der Zeit. Teile seines sehr umfangreichen Werks wurden in den wichtigsten Metropolen verlegt und gedruckt, ein immer noch seltener und schwierig zu erreichender Erfolg.
Lobt Mozart eine Messe von Richter als charmant, so wirft das sicher auch Fragen zur Ästhetik auf.
Die Begeisterung für das Elegante und Bezaubernde war en vogue und scheint auch vor der Kirchenmusik nicht Halt gemacht zu haben – ein Bruch mit der Tradition, für den auch Richter kritisiert worden war. Besonders interessant muss uns heute erscheinen, dass Richter in gleichem Masse, gleichzeitig und scheinbar widersprüchlich sowohl aufgrund seiner musikalischen Kühnheit wie wegen seines kompositorischen Konservatismus in die heftigen stilistischen Debatten seiner Zeitgenossen hineingezogen wurde.
Die faszinierende Musik Franz Xaver Richters öffnet also ein Fenster in das Zeitalter der musikalischen Umwälzungen zwischen den nur scheinbar monolithischen Stilen des Barock, in dem Richter allein schon biographisch tief verankert ist, und der Klassik, als deren dominierender Vertreter Mozart heute gilt. Abgesehen von musikalischen Freuden ergibt sich so ein sehr spezifischer Einblick in die Grabenkämpfe, Sackgassen und Triumphe einer ganzen Kultur im Umbruch.
Wir gratulieren herzlich zum «Opus Klassik».